Interview über das Thema „Seele“ mit Chefarzt der Parkklinik, Dr. Hans-Peter Selmaier
Seele im Aufbruch
Unsere Zeit ist geprägt von Unsicherheit, Wandel und tiefgreifenden Veränderungen. Doch wie können wir diesen Herausforderungen begegnen, ohne innerlich zu erstarren? Wie finden wir den richtigen Moment, um Entscheidungen zu treffen und unser Leben bewusst zu gestalten?
Dr. Hans-Peter Selmaier, Chefarzt der Parkklinik, spricht in diesem Interview über die Bedeutung der Seele in der Psychotherapie und Psychoanalyse. Er erklärt, warum das Seelische in der modernen Therapie oft vernachlässigt wurde – und warum es jetzt an der Zeit ist, ihm wieder seinen gebührenden Platz einzuräumen.
Dabei geht es nicht nur um die Theorie, sondern auch um ganz persönliche Erfahrungen: den Umgang mit Verlust, die Bewältigung von Lebensübergängen und die Frage, wie wir innere Erstarrungen lösen können. Ein tiefgehendes Gespräch über den „Aufbruch der Seele“ und die Chancen, die darin liegen.
Zu dem Interview:
Was liegt Ihnen am Thema „Seele im Aufbruch am Herzen“?
„Für mich geht das um ein sowohl Inneres als auch Äußeres in Bewegung kommen. Innerlich bedeutet das, Erstarrungen zu lösen, äußerlich auf die Mitmenschen zuzugehen und Verbundenheit herzustellen. Entscheidungen und Weichenstellungen will ich nicht verpassen, den richtigen Moment will ich nicht verpassen, sondern den Kairos finden. Damit kann ich Lebensübergänge besser bewältigen und Wachstum erfahren. Ich will das weitergeben und ein Modell für andere Menschen sein.“
Wie kam es dazu, das Sie „Die Bedeutung der Seele in Psychotherapie und Psychoanalyse“ als Vortragstitel gewählt haben?
„Mein Vortrag handelt von der „Die Bedeutung der Seele in Psychotherapie und Psychoanalyse“. Seele ist in der Psychotherapie unterschiedlich verstanden worden. Es geht darum Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu erfassen, um mit dem Begriff besser umgehen zu können zum Nutzen der Therapie. In der Moderne ist das Seelische gegenüber biologischen, psychologischen und sozialen Therapieansätzen arg in den Hintergrund geraten; es sollte wieder seinen gebührenden Platz erhalten gerade auch als Ausdruck einer sich humanistisch verstehenden Therapie.“
Was verstehen Sie unter dem Begriff Seele?
„Seele ist für mich die Wirklichkeit unseres leiblichen, zeitlichen und gemeinsamen Auf-der-Welt-Seins“. Es zeichnet uns Menschen aus, dass wir über Sprache, Kunst und Religion verfügen. Diese vermitteln unsere Beziehung zur Welt, zu unserem eigenen Sein und zum Sein unserer Mitmenschen. Ich teile die Auffassung von C. G. Jung, dass die Seele ein unendliches Unbewusstes umfasst, das sich wiederum in kollektives und persönliches Unbewusstes aufteilt. Ich sehe Seele eng mit dem Geistigen verbunden. Körper, Geist und Seele – diese drei Elemente sind eng miteinander verbunden und bilden zusammen den Menschen in seiner Ganzheit.“
Weshalb glauben Sie, dass ein Aufbruch (unserer Seele) gerade jetzt notwendig wird?
„In einer Zeit, in der Technik, EDV, Digitalisierung und Globalisierung das Wesentliche beiseite drängen, ist es wichtig, zu sich zu kommen, seine Mitte bzw. seinen Kern zu finden. Nur dadurch gewinnt das Persönliche und Humane wieder Raum; wir lassen weitere Entfremdung sowohl al Individuum als auch als Gesellschaft nicht mehr zu. Gleichzeitig können wir uns transzendieren und uns auf etwas Höheres ausrichten.
In einer Zeit von Polarisierung oder gar Spaltungen und bedrohlichen Kriegen ist es erforderlich, Gegensätze in uns zu überwinden und damit verbundene Spannungen abzubauen. Wir können annehmen, dass sich das dann auch auf die Außenwelt überträgt.“
Nach dem Verlust eines nahen Familienmitglieds oder Partners verändert sich das Leben. Wie kann der Tod oder ein schwerer Schicksalsschlag neben der Trauer um die geliebte Person auch dazu führen, dass es zu innerem Wachstum kommt?
„Nach dem Verlust eines nahen Familienmitglieds oder Partners verändert sich das Leben. Wie kann der Tod oder ein schwerer Schicksalsschlag neben der Trauer um die geliebte Person auch dazu führen, dass es zu innerem Wachstum kommt?
In der Bewältigung von Lebensübergängen und Transitionen, zu denen für mich auch der Tod meines Vaters und später die Demenz und im Weiteren der Tod meiner Mutter – gerade bei eingeschränktem Zugang in Zeiten von Corona – gehörte, verlor ich etwas für mich sehr Wichtiges. Ich musste mich verabschieden, mich lossagen, aber gleichzeitig mich auf einer neuen Ebene finden. Ich konnte aber auch verbliebene Abhängigkeiten auflösen und in der darüber zu mehr Autonomie und Stärke finden; persönliche und soziale Ressourcen konnte ich aktivieren bzw. weiterentwickeln. Die Überwindung dieser Schwelle – gleichsam einer Lebensaufgabe – half mir bei meiner weiteren Individuation.“