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Interview mit Prof. Dr. Rolf Verres

Wir möchten Ihnen den diesjährigen Kongressreferenten Prof. Dr. Rolf Verres vorstellen.

In diesem Interview erklärt er, um was es in seinem Workshop „Sehnsucht und Erfüllung bei ambivalenten Vorstellungen zur eigenen Identität“ geht. Der Workshop findet im Rahmen des Heiligenfeld Kongresses „Leben lieben“ am Samstag, den 13.05.2023 von 16:00 bis 18:00 Uhr, statt. Zudem gibt Prof. Dr. Rolf Verres einen Einblick in den musikalischen Vortrag, den er gemeinsam mit Konstatin Wecker und Jo Barnikel am Freitagabend um 20:30 Uhr gestaltet.

Prof. Dr. Rolf Verres ist Diplom-Psychologe und Facharzt für psychotherapeutische Medizin. Er war bis Ende 2013 Ordinarius und ärztlicher Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie im Zentrum für Psychosoziale Medizin an der Heidelberger Universitätsklinik. Studium der Medizin und Psychologie in Münster, Hamburg, Heidelberg und Stanford / USA. Forschungsschwerpunkte waren subjektive Krankheitstheorien, Psychoonkologie, Gesundheitspsychologie, Musiktherapie. Rolf Verres ist Autor und Herausgeber zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und Sachbücher.

Was bedeutet es für Sie, das Leben zu lieben?
Vor allem Dankbarkeit. Ich bin meiner Mutter und meinem Vater unendlich dankbar dafür, dass sie mir das Leben geschenkt haben. Ohne sie gäbe es mich nicht. Schon der Zeugungsakt erfolgte aus Urformen der Liebe, die mich mein ganzes bisheriges Leben lang verlässlich begleiteten. Meine Eltern mussten während des 2. Weltkrieges viele Jahre lang voller Sehnsucht und Verlustangst aufeinander warten, bis sie endlich heiraten und die Kinder Rolf und Monika in die Welt bringen konnten. Ich glaube, dass diese Verbindung von Sehnsucht, Erfüllung und Liebe in meiner seelischen DNA gespeichert ist und weiterwirkt. Ich selbst habe keine Kinder, bin aber sehr glücklich verheiratet und habe viele Wege gefunden, die in mir schlummernden Liebesgefühle mit anderen Menschen zu teilen.

Dabei spielt auch die Musik eine große Rolle, deren Bedeutung für eine möglichst liebevolle Welt mir schon als Kind von meinen Eltern und meiner Klavierlehrerin vermittelt worden ist. Meine Mutter war eine begeisterte Chorsängerin und mein Vater spielte wunderschön auf seiner Mundharmonika, wenn er in der Natur war. Ich wurde schon als Kind eingeladen, bei Schülerkonzerten als Pianist aufzutreten, war mit 17 Jahren Mitbegründer der recht erfolgreichen Popgruppe „The Gate Ghosts“ in Coesfeld und bekam Lust, meine Freude am Leben auch durch Veröffentlichungen meiner eigenen Inspirationen und Kompositionen auszudrücken. Die Mischung von unauslöschbaren Glücksgefühlen und Dankbarkeit gibt mir ein sicheres Fundament für meine gesamte Lebensführung, bei der nicht enden wollenden Suche nach dem Wunderbaren.

Wie integrieren Sie „Leben lieben“ in Ihren Alltag?
Durch konsequente Wachsamkeit, aber auch durch Schlafen und luzides Träumen.  Allerdings muss ich auch die Notwendigkeit des Ausblendens und der Abgrenzung erwähnen. Das Nichtwahrhabenwollen von Antithesen des Lebens wie Krankheiten, Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Krieg, Leiden und Tod wird zu einer hohen Kunst, weil wir uns gerade wegen unserer Sehnsüchte auch mit diesen Antithesen auseinandersetzen müssen, egal ob sie uns passen oder nicht. Ich würde zum Beispiel die täglichen Nachrichten über die schrecklichen Kriege und Katastrophen lieber gar nicht an mich heranlassen. Das würde aber bedeuten, dass ich mir ein unrealistisches, egozentrisches Bild vom Leben auf diesem Planeten konstruieren würde. Als Therapeut kann ich das nicht verantworten. Zur Lebenskunst gehört unbedingt ein möglichst umfassendes Verstehenwollen der real existierenden Welt in unserer Zeit. Es reicht beispielsweise nicht, die Parole auszugeben, man solle jedes Leben lieben, also auch seine Feinde. Viel wichtiger ist es erst mal, sich vor denen so gut zu schützen, wie es möglich ist. Auch lebensbedrohende Viren, Krebszellen oder brutale Gewalttäter wie Putin betrachte ich als meine Feinde, die ich unmöglich lieben kann. Die Heilkunde besteht nicht nur aus Gesundheitsförderung und Prävention, sondern auch aus dem Erkennen und der Bekämpfung derjenigen Phänomene des Lebens, die wir als „maligne“ bezeichnen. Ich plädiere also für eine Differenzierung. Ich liebe nicht „das Leben“, sondern ich unterscheide zwischen solchen Phänomenen des Lebens, die liebenswert sind und solchen, von denen ich mich unbedingt abgrenzen will. Jegliche Lebenskunst wird wohl immer dialektisch sein müssen, also Thesen und Antithesen enthalten. Ich kann eine Katze niedlich und liebenswert finden, aber, wenn sie die ebenso niedlichen und liebenswerten Vögel in meinem Garten frisst, sinkt sie in meiner Achtung, obwohl sie gar nicht anders kann, als andere Tiere zu jagen und zu fressen.

Wie möchten Sie das Thema „Lebenskunst“ in Ihrem Workshop vermitteln?
Es geht mir um nichts weniger als um die Frage, wie jede*r im Leben ihren*seinen eigenen Weg finden kann. Dazu gehört, tragfähige und flexible Kompromisse zu finden, wenn wir in bestimmten Konstellationen nicht die Person sein können, die wir sein wollen. Jeder Mensch erlebt Versuchungen oder sogenannte Sachzwänge. Dabei kann jede Entscheidung Folgen für unser Identitätsgefühl haben, sprich unsere seelische Stabilität steigern oder in Frage stellen.

Und bei der Arbeit sind meist nur bestimmte Teile unserer Fähigkeiten gefordert. Wollen wir wirklich all das, was wir sonst noch können, nur in der so genannten Freizeit ausleben?  Wenn ein Arzt in einem Ärzteorchester Geige spielt, heißt das noch lange nicht, dass er die dabei eingesetzte Feinfühligkeit auch in seinem Umgang mit Patienten zeigt. Wie können wir unsere Prioritäten so setzen, dass wir unser ganzes Leben als bejahenswert empfinden, vielleicht sogar aus ganzen Herzen sagen können: „Ich liebe mich“?

Was möchten Sie Ihren Mitmenschen mit auf den Weg geben?
Ausgehend von Entscheidungssituationen aus dem Leben der Teilnehmer*innen möchte ich dazu anregen, sich Utopien auszumalen, in denen alles widerspruchsfrei zueinander passt. Das ist aber nur der erste Schritt. Danach gilt es, sich auf Überlegungen zu dieser Frage zu konzentrieren: Was wird an meiner Lebensführung bejahenswert bleiben, egal wie ich mich jetzt entscheide? Wie und wo finde ich Wegmarken, die mich magnetisch anziehen? Wie entstehen solche Magnetismen, und welche Bedeutung hat dabei ein Wissen über die Dynamik von Resonanzfeldern? Wie kann ich wohltuende Resonanzfelder erkennen und wie kann ich sie auch auf meine Weise mit beeinflussen? Von welchen Resonanzfeldern will ich mich lieber abgrenzen? Wie kann ich mein Leben als ein Gesamtkunstwerk gestalten?