Weit entfernt in Asien, die Medien berichten über einen Virus, der den Menschen den Atem raubt. Ein Virus, der bekannt ist, denn Corona-Viren gab es schon immer. Er verursacht auch nicht sofort den Tod wie z. B. Ebola, sondern verläuft in vielen Fällen harmlos wie eine Erkältung oder Grippe. Weit entfernt und harmlos? In diesem Fall nun nicht mehr, er ist bei uns angekommen. Sehr schnell kam er nach Europa und wanderte mit unserer unbändigen Reiselust mit den Menschen in fast jedes Land der Erde. Er verbreitet sich mit jeder Umarmung, mit jeder Veranstaltung weiter, entweder deutlich erkennbar als auftretende Lungenkrankheit mit Symptomen oder über Träger mit harmlosen Erkältungsanzeichen. Eine Ansteckung in der Nähe eines Corona-Infizierten führt über Tröpfcheninfektion zur Ansteckung. Somit ist jeder Mensch ein potenzielles Risiko für den anderen Menschen. Jeder könnte jeden töten, ohne es zu wollen. Das kennt man nur aus Horrorszenarien in spannenden Filmen. Das ist aber gerade die Wirklichkeit.
Unbekannte Zeit
Gerade meistern wir eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Für viele Menschen gibt es nichts Vergleichbares. Ältere können auf große Krisen wie den zweiten Weltkrieg zurückblicken, für uns „Junge“ (Anmerkung: Ich bin auch schon über 50 Jahre alt) scheint die wirtschaftliche Auswirkung und die Ungewissheit schlimmer als bei der Wiedervereinigung oder dem 11. September. Gesundheitliche Bedrohungen in diesem Ausmaß kennen wir nicht. Wir kennen auch keine von der Bundesregierung verordneten Verbote der Zusammenkünfte oder sogar Ausgangssperren und damit Einschränkung unserer Bewegungsfreiheit. Es herrscht Unsicherheit, Unklarheit, vergleichbar mit einem Schweben in einem galaktischen leeren Raum. Nichts ist organisierbar, planbar, vorhersehbar. Entscheidungen haben keine Gültigkeit mehr und es betrifft uns alle. Jeden Menschen ob jung oder alt, jedes Unternehmen in jeder Branche und vor allem trifft es uns dort, wo wir am verletzlichsten sind, in unserer Hilflosigkeit als kranker Mensch. Es ist eine uns auferlegte kollektive Reifeprüfung.
Kollektive Reifeprüfung als Chance
In dieser Unsicherheit stecken aber mehrere ganz besondere Chancen. Zum einen der Kollaboration, ein Miteinander, eine Solidarität und zum anderen den rechten Augenblick am Schopf zu packen und aus eigener Kraft, allein oder in Gemeinschaft, neues zu schaffen oder/und aus der Erfahrung zu lernen. Eine Chance zu reifen.
Stillstand zum Innehalten
Unsere Gesellschaft ist auf Produktivität, Effizienz, Gewinnmaximierung und Konsum ausgerichtet. Wir gehen meist acht Stunden täglich, meist mehr als 40 Stunden in der Woche auf die Arbeit, hetzen von Termin zu Termin, fangen viel an und beenden es kaum. Konzepte entstehen und werden nicht umgesetzt. Wir rennen Dingen hinterher, treiben an und möchten immer mehr Geld verdienen. Der Kalender ist voll, aber nicht sinnvoll gefüllt. Wir sind beschäftigt, tun dies aber nicht bewusst und oftmals nicht gerne und manchmal auch nicht aus freien Stücken. Nun kommt es zum absoluten Stillstand. Wir werden ausgebremst von 100 auf Schrittgeschwindigkeit und das hinterlässt Spuren. Dieser abrupte Stopp verlangt Aufmerksamkeit, um nicht aus der Fahrbahn geworfen zu werden. Die Ruhe und die Zeit geben uns die Chance, aufzuwachen, wahrzunehmen, uns auf das Eigene zu besinnen. Es bleibt Zeit, sich essenziellen Fragen des Lebens zu widmen. Was ist mir wichtig im Leben? Mit welchen Menschen möchte ich zusammen sein? Was brauche ich und was ist mir zu viel im Leben? In welche Lebensumstände bin ich eingebettet und nähren mich diese? Wer bin ich und wer möchte ich sein? Wie könnte ein Leben aussehen, in dem ich leicht und glücklich lebe?
Solidarität und Zuversicht
Gerade jetzt in einer außergewöhnlichen Lebenssituation mit der Betreuung unserer Kinder auf engstem Raum, der Sorge um die Älteren und Geschwächten, zeigt sich, wie wertvoll liebende Menschen sind. Eine Haltung der Verbundenheit erblüht aus der Gemeinschaft, Hilfsangebote verbinden jung und alt in Vereinen und neu gegründeten Organisationen. Es ist Liebe, die sich zeigt im bedingungslosen und erwartungsfreien Geben. Menschen suchen den Kontakt zum Nachbarn, bieten ihre Unterstützung an, es ist ein Miteinander. Dies alles entstand in einer Zeit der Einsamkeit, der Ausgrenzung, der Abwertung und Bewertung und wird gerade durch Verbundenheit und Zusammenhalt überwunden. Menschen geben sich Halt und praktizieren Nächstenliebe. In dieser einzigartigen Hilfsbereitschaft reifen wir und reift unsere Gesellschaft zu einem Wir. In all dem Schweren zeigt sich durch das Wir die Hoffnung, Zuversicht und der Glaube an das Gute. Mit etwas Mut und Vertrauen und wachsendem Bewusstsein können wir eine reifere Welt schaffen, die die Würde des Lebens im Blick hat und nicht des Einzelnen.
Die Welt im Einklang
Gerade erleben wir Stillstand, Verzicht und Reduktion auf eine besondere Weise. Ist erst einmal der erste innere Widerstand überwunden, ist der eine oder andere bereit, sich in das leere Feld des Ungewissen fallen zu lassen, sich dem Wandel hinzugeben, der jetzt geschieht. Prognosen zeigen, es kommen gravierende Veränderungen auf uns zu. Selbst eine Weltwirtschaftskrise ist nicht mehr auszuschließen, worauf die Umsatzeinbrüche, der instabile Aktienmarkt und vieles mehr hindeuten. Bisher haben wir es geschafft, in unserer eigenen Verantwortung zu bleiben und sind solidarisch. Als Gemeinschaft ist diese Krise überwindbar, wir werden nur nicht mehr die Welt haben, die wir zuvor hatten. Wir haben Erkenntnisse gewonnen und haben nun die Chance auf etwas Besseres, auf eine Wirtschaft im Einklang mit allen Lebewesen und der Natur. Denn unsere Natur zeigt sich in all ihrer Schönheit, wenn wir sie nicht überstrapazieren. Durch den Produktionsstillstand in China sehen dort die Menschen gerade erstmals wieder einen blauen Himmel und Sterne und kein Nebel verschleiert dieses Farbenspiel. Wenn wir es schaffen, uns im Herzen mit allen Lebewesen zu verbinden, können wir unseren Enkelkindern von dem Wunder der Krise im Jahr 2020, unserer kollektiven Reifung voller Stolz erzählen.
Autorin: Anita Schmitt
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