Achtsamkeit
27
Mai

ACHTSAMKEIT – KONGRESSERLEBNIS AUS DER SICHT EINER TEILNEHMERIN

Achtsamkeit …

Achtsamkeit …

Achtsamkeit …

Mit dieser nachschwingenden Botschaft verabschiede ich mich vom 18. Heiligenfelder Kongress im Kurort Bad Kissingen. Für mich war es die erste aktive Teilnahme und über diesen Blogbeitrag möchte ich meinen Eindruck und mein Empfinden zu diesem Wochenende teilen.

Vom 16. – 19. Mai strömten insgesamt mehr als 1200 Menschen in das Herzstück der Stadt – den historischen Regentenbau, um sich einem fundamentalen Thema des Menschsein zu widmen.

Die Achtsamkeit erfreut sich für mich vieler Dimensionen, allen voran gestellt, die Bewusstheit und die Bewusstwerdung unseres SEINS im Hier und Jetzt.

Jeden Tag durfte ich dieser Erkenntnis und diesem inneren Gefühl des Gewahrseins ein Stück näher kommen.

Eine Gedichts Inszenierung, instrumental begleitet, eröffnete am Donnerstagabend den Kongress und wurde zu einem bewegenden Einstieg für die Folgemorgen. Das achtsame Innehalten nach der Performance von Uta Galuska zeigte mir schon jetzt den Mehrwert einer gemeinsamen Stille, gegenüber einem lauten Applaus.

Von der Achtsamkeit begleitet, privat und über seine gesamte Berufslaufbahn hinweg, wurde Dr. Joachim Galuska. Sein Plenumsvortrag zur Eröffnung war der letzte in seinem aktiven Berufs-Dasein. Nach fast 30 Jahren übergibt er die Heiligenfeld Kliniken an die vier Geschäftsführer, wird die Heiligenfelder Kongresse dennoch weiterhin begleiten.

Sein Vortrag stellte die drei Formen der Achtsamkeit: die individuelle, die kollektive und die evolutionäre in eine schöpferische Tiefe und erforderte meine absolute Aufmerksamkeit. Was immer der Einzelne aus seinen Worten für sich persönlich mitnehmen konnte, seine Emotionalität und Hingebung war ergreifend und offenbarte mir ihn wahrhaftig als Mensch.

Die folgenden Vormittage  hielten eine Fülle von Vorträgen für die Besucher bereit. Das Potenzial der Achtsamkeit griff nicht nur den individuellen Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung und deren Entfaltung auf, sondern erstreckte sich über viele Themenbereiche. So wurden mitunter auch Anwendungsmöglichkeiten für die Berufs- und Lebensfelder Psychotherapie, Wirtschaft, Gesellschaft, Schule, Kunst und Kultur aufgezeigt und deren Wirksamkeit mit wissenschaftlichen Studien unterzeichnet.

Viele Referenten bemühten sich nicht nur um einen wissenschaftlich-forschungsorientierten Inhalt ihrer Vorträge, sondern luden darüber hinaus oftmals zur gemeinsamen Stille und zum achtsamen Innehalten in der Gemeinschaft ein. Auch das meditative Verweilen nach den Vorträgen, zu dem die Moderatoren immer wieder aufriefen, bewegte dazu, aus der Ruhe zu schöpfen und sich stressfrei in den nächsten Vortrag zu begeben – oder nachmittags einen der zahlreichen Workshops zu besuchen.

Für einen der Workshops entschieden, bahnte sich die Menge ihren Weg zu den Räumlichkeiten der Heiligenfeld Kliniken. Strahlender Sonnenschein und grüne Wiesen luden auf dem Weg dorthin oder in den Pausen dazu ein, sich barfüßig mit der Natur zu verbinden. Und hatte man kurzzeitig die Orientierung im Baden der Sinne verloren, konnte man sich problemlos auf die Hilfe der Lotsen verlassen, die einem freundlich den richtigen Weg verwiesen.

Ob selbstreflexions-, konzept- oder praxisorientiert: die Workshops tasteten sich an verschiedene Themen heran und reflektierten oder spürten diese in der Gruppe nach.

Zentral im Mittelpunkt standen immer das Potenzial der Achtsamkeit und deren Umsetzung im privaten, spirituellen oder beruflichen Feld.

Die zwischenmenschliche Achtsamkeit aller Anwesenden auf dem Kongress wurde für mich zunehmend sichtbar. Ein freundliches Lächeln, ein intensiver Blickkontakt, eine liebevolle Berührung oder ein herzliches Lachen – Lebendigkeit lag in der Luft und ließ das Stadtbild erstrahlen.

Das Rahmenprogramm erleichterte es darüber hinaus den Kontakt zu Gleichgesinnten aufzunehmen. Ob ein Verweilen im „Wald für die Seele“, einer Mittagspause bei KissVino am alten Marktplatz oder einem generationsübergreifendes Zusammentreffen in der Wandelbar. Möglichkeiten der Kontaktaufnahme gab es viele, man musste sie nur beim Schopf(e) ergreifen.

In diesem Jahr zog es auch wieder viele Vertreter*innen der jungen Generation zu dem Kongress. Die Visionsgruppe schaffte mit der „Wandelbar“ ein weiteres Mal einen Raum für Begegnungen, unterstützt durch Interventionen wie z.B. Augenbinden, Schweigebuttons oder handgeschriebenen Sprüchen, die zum Nachdenken anregen sollten. Ob im Kontakt mit Peers oder ein achtsamer Austausch zwischen den Generationen – jeder hier wurde herzlich dazu eingeladen in eine gemütliche Wohnzimmer Atmosphäre einzutauchen und neue Energie aufzutanken. Am Freitagabend verwandelte sich die große Außenterrasse in eine Fläche für Musizier- und Tanzimprovisation. Trommel, Flöte, Hang und die unterschiedlichsten Stimmen vereinten sich miteinander und bildeten eine harmonische Basis für gemeinsames Tanzen.

Parallel dazu befand sich auch der Max-Littmann-Saal im musikalischen „Flow“. Unter dem Motto „Aufeinander hören und miteinander spielen“ kamen der bekannte Trompeter und Komponist Markus Stockhausen, Perkussionist und Sänger John Abdelsayed und Pianist Rolf Verres zusammen und zogen das Publikum in ihren Bann.

Die Improvisatoren ließen ihrer Intuition zunächst freien Lauf und involvierten dann das Publikum, indem sie die Atmosphäre im Saal wie ein Netz auffingen und in ihre Musik mit einfließen ließen. Diese Form der integralen Musik öffnete Türen in andere Sphären und gewahr einen Eintritt in eine neue Welt der Achtsamkeit.

Der Freitagabend endete mit einem Feuerwerk. Sowohl am Nachthimmel über der Stadt als auch in mir, da ich Teil werden durfte von einer überwältigenden Show des Miteinanders.

Bereit für den nächsten Tag? Wer die nächtlichen Ereignisse noch in den Knochen spürte, hatte die Möglichkeit an einer geführten oder bewegten Meditation am Morgen teilzunehmen.

Im gegenwärtigen Moment angekommen, durften wir im ersten Plenumsvortrag Prof. Dr. Tania Singer begrüßen. Auf charmante Art und Weise, stellte sie uns das neunmonatige ReSource Projekt vor, das den mentalen Effekt verschiedener kontemplativer Praktiken untersucht.

An Stellen wo sich das Gehör normalerweise wegen „trockener“ Statistiken und forschungslastigen Ansätzen verabschiedet, schaffte es Singer mit viel Witz und Leichtigkeit, das Publikum für sich zu erobern. Es war eine Freude ihr zuzusehen und zuzuhören und der Raum war gefüllt von positiver Resonanz. Diese zeigte sich auch im Anschluss an ihren Vortrag.

In der „Speakers Corner“ konnten Kongressteilnehmer nach allen Vorträgen in den direkten Kontakt mit den Referenten treten und so Fragen klären, Anregungen geben oder Gedanken zum Thema teilen.

Ein offener Austausch, ganz unverfänglich.

So auch der Grundgedanke für das Mentoring Programm. Studierenden wurde hier die Möglichkeit geboten von einem erfahrenen Kongressteilnehmer, fungierend als Mentor, betreut zu werden um sich sodann im freiwilligen Austausch zu vernetzen, Kontakte zu knüpfen und das Wochenende intergenerativ mitzuerleben. Das freie Miteinander mit nur wenig vorgegebenen Terminen bereicherte sowohl die jungen Studierenden als auch die erfahrenen Kongressteilnehmer.

Auch das Großgruppenerlebnis TaKeTiNa, angeleitet von Kreativtherapeut Frank Rihm ermöglichte den Teilnehmenden am Samstagabend ein tiefes Gefühl von Verbundenheit in der Gruppe und ein Ankommen im Hier und Jetzt. Getragen vom Rhythmus, der Energie der Anderen und dem dumpfen, gleichmäßigen Ton der Trommel, hielten die Teilnehmenden Einzug in die Abendstunden des Samstags. Ob lebhafte Gespräche bei einem Glas Wein, dem Genießen der Stille unter klarem Himmel oder dem freudigen Schwingen des Tanzbeins zu den Rockhymnen von den „Rock of Ages by Ac(c)oustic Jam“. Jedem war die Möglichkeit geboten, seinen Abend wie für sich am Geeignetsten zu gestalten und die vergangenen Tage Revue passieren zu lassen.

„Wo Sehnsucht und Verzweiflung sich einen, ereignet sich Mystik“. Mit diesem Zitat von Friedrich Nietzsche eröffnete Pierre Stutz seine Plenumsrede, die zugleich der letzte Vortrag zum Kongress Achtsamkeit sein wird. Die Kongresstage hatten wahrhaftig etwas Mystisches an sich.

Nun, was nehmen wir mit? Welches Potenzial verbirgt sich hinter der Achtsamkeit? Findet Achtsamkeit einen Platz in unserer schnelllebigen Zeit? Und zeigt uns Achtsamkeit einen Weg von der MenschHEIT zum MenschSEIN?

Diese Fragen können und sollen von jedem selbst beantwortet werden. Für mich wurde ersichtlich: wir haben gesehen und wurden gesehen, haben zugehört und wurden erhört, haben gelacht und geweint, geklatscht und gestaunt, gesungen und getanzt…

Vielleicht fangen wir damit an zu leben, im HIER und JETZT, ganz ohne Wertung oder Urteil. Dies kann uns damit gelingen den Fokus gänzlich auf unsere Aufmerksamkeit und auf die lebenserhaltende Grundfunktion des Menschen zu lenken: unseren Atem.

Achtsamkeit bedeutet bewusstes SEIN. Wenden wir uns also wieder mehr unserem Bewusst(-)sein und unserer Selbstannahme zu und öffnen wir uns auch den dunklen Seiten, der Verzweiflung in uns. Diese anzunehmen und achtsam mit ihr umzugehen verspricht einen Neugewinn für unsere Selbsterkenntnis.

Wo sich die Selbstannahme entfaltet und das Paradoxe als Kraftquelle unseres Lebens begriffen wird, kann der Mensch wachsen, so die Quintessenz des Vortrags von Pierre Stutz.

Das alles braucht Zeit und auf dem Weg dorthin reifen wir und nähren uns von der Achtsamkeit.

„Wenn die Achtsamkeit etwas Schönes berührt, offenbart sie dessen Schönheit. Wenn sie etwas Schmerzvolles berührt, wandelt sie es um und heilt es.“ Mit diesen Worten des buddhistischen Mönchs Thich Nhat Hanh verabschiede ich mich mit einem stillen Winken und wir heißen euch herzlich Willkommen im nächsten Jahr zum Kongress „Reifung“.

 

Anna Rödiger